Nach acht aufeinanderfolgenden Jahren mit stark steigenden Pflegetierzahlen, die im Jahr 2021 erstmals die 4.000er-Marke überschritten, „reduzierte“ sich die Anzahl der versorgten Tiere im vergangenen Jahr recht deutlich: es wurden 3.764 Tiere aus 187 Arten im NABU-Artenschutzzentrum Leiferde versorgt.
Weniger Vögel als 2021, trotzdem dritthöchster Wert
„Was zunächst einmal begrüßenswert erscheint, kann auch als Warnsignal gedeutet werden“, berichtet Bärbel Rogoschik, Leiterin des NABU-Artenschutzzentrums. Am eindrücklichsten lässt sich dies an den gepflegten Singvögeln erläutern, deren Anzahl sich im vergangenen Jahr um 239 Tiere im Vergleich zum Vorjahr reduzierte. „Diese Artengruppe hatte in den letzten Jahren – verstärkt durch mehrere Trockenjahre – große Probleme, ausreichend Nahrung für ihren Nachwuchs heranzuschaffen. Als Folge dessen gab es flächendeckend zahlreiche unterernährte Jungvögel, von denen ein Teil im NABU-Artenschutzzentrum versorgt wurde und hier für steigende Pflegetierzahlen sorgte“, so Rogoschik.
Aufgrund der relativ kurzen Lebensspanne von Singvögeln bedeutet der verstärkte Ausfall von Nachwuchs über mehrere Jahre, dass auch der Gesamtbestand an Singvögeln spürbar schrumpft und somit auch weniger zu pflegende Tiere im NABU-Artenschutzzentrum ankommen. Die häufigsten aufgenommenen Singvögel waren erneut Haussperlinge mit 390 Individuen, gefolgt von Amseln (214), Mehl- (183) und Rauchschwalben (104).
Obwohl die Anzahl der zu pflegenden heimischen Vögel im vergangenen Jahr mit einem Minus von 365 Tieren im Vergleich zum Vorjahr deutlich abnahm, wurde mit 2.538 Vögeln aus 98 Arten immer noch der dritthöchste, je festgestellte Wert erreicht. Die Summe der Tag- und Nachtgreifvögel belief sich auf 190 Tiere, wobei hier die häufigsten Arten Mäusebussard und Turmfalke waren. Insgesamt wurden 36 Weiß- und drei Schwarzstörche gepflegt. „Leider treten seit 2015 alljährlich Weißstörche als Pfleglinge auf, die Gummibänder gefressen haben, die letztendlich zum Tode führen können. Eine Verbesserung dieser Situation ist nicht in Sicht“, bedauert die Naturschützerin.
Weiterhin viele Exoten und Säugetiere
Neben 17 Papageien, die sich leider nur äußerst schwer vermitteln lassen, wurden auch 584 Reptilien gepflegt, davon 329 Europäische Sumpfschildkröten, die im Zuge des Zucht- und Auswilderungsprojektes gehalten werden. „Als besonderer Meilenstein konnte die erste erfolgreiche Freilandreproduktion eines im Jahr 2016 ausgewilderten Weibchens dokumentiert werden“, erläutert Bärbel Rogoschik. Des Weiteren teilte sich die Gruppe der Reptilien in 95 Wasserschildköten, 88 Landschildkröten, 34 Schlangen sowie 38 Echsen auf.
Bis auf einen deutlichen Rückgang der im NABU-Artenschutzzentrum gepflegten Igel, hat sich in der Gruppe der Säugetiere im Vergleich zum Vorjahr kaum etwas geändert. Diese summierten sich im Bezugsjahr auf 583 Tiere aus 21 Arten, zu denen der Igel als häufigste Art mit 352 Exemplaren (96 weniger als im Vorjahr) beisteuerte. Auch hier können die fallenden Zahlen, bedingt durch eine ähnliche Wirkungsweise wie bei den Singvögeln, auf einen sinkenden Freilandbestand dieser insektenfressenden Art hindeuten. In die Rubrik der Säugetiere fallen auch sieben Wildkatzen, von denen bereits sechs Tiere ausgewildert wurden.
Großes Einzugsgebiet über Niedersachsen hinaus
Insgesamt stammen die im vergangenen Jahr im NABU-Artenschutzzentrum versorgten Tiere aus 54 Landkreisen oder kreisfreien Städten aus 12 Bundesländern oder Stadtstaaten. Aufgrund der Lage des Zentrums im Landkreis Gifhorn, kamen auch im vergangenen Jahr die meisten Tiere (1.003) aus eben diesem Bereich, gefolgt von Braunschweig mit 508 Tieren, Peine mit 375, Wolfsburg mit 297 und Hildesheim mit 228 tierischen Pflegefällen.
„Trotz des Rückganges um 204 Tiere, war die Kategorie der „Waisen“ mit 1.265 Tieren mit weitem Abstand traditionell die zahlenstärkste“, berichtet Joachim Neumann, Mitarbeiter im NABU-Artenschutzzentrum. „Dem folgen traditionell die Tiere, die durch Kollisionen (481) mit beispielsweise Kraftfahrzeugen oder Scheiben zu Schaden kommen. Als nächstfolgende Ursache sind die Verletzungen durch andere Tiere (227), zumeist Hauskatzen, zu nennen. Einen deutlichen Zuwachs hatten die sogenannten Witterungsopfer zu verzeichnen, die im Bezugsjahr mit 219 Tieren zu Buche schlugen. Ursache hierfür waren hauptsächlich Hitzephasen im Mai und der zweiten Junihälfte, die vor allem den Gebäudebrütern zu schaffen machten. In der folgenden Kategorie der Zivilisationsopfer (183) sind die Tiere zusammengefasst, die durch Handlungen, Bauwerke, Hinterlassenschaften etc. des Menschen zu Schaden gekommen sind. Hierzu zählen auch fast alle „Kollisionsopfer“ und ein Großteil der „Waisen“, welche aber aufgrund der Vielzahl der Fälle seit jeher in eigenen Kategorien geführt werden. So sind auch im vergangenen Jahr wieder zahlreiche Tiere in ungesicherte Schornsteine, Fenster- und Lüftungsschächte, Kellerabgänge oder Pools gefallen oder haben sich in Schnüren, Netzen, Drähten oder Müll verfangen. Ebenfalls leicht zu verhindern wären Fälle, bei denen Tiere an Leimringen, Klebefallen oder Mausefallen zu Schaden gekommen sind. Nach wie vor auf hohem Niveau bewegt sich die Zahl der entwichen oder ausgesetzt aufgefundenen Tiere (137). In aller Regel handelt es sich hier um exotische Tiere, die unter den hiesigen klimatischen Bedingungen nur kurzzeitig oder zumindest nicht dauerhaft überlebensfähig sind. Die letzte zu beschreibende Kategorie mit dreistelliger Fallzahl ist die der behördlich eingezogenen Tiere (104) aufgrund von Verstößen gegen das Artenschutz- oder Tierschutzgesetz.“
Veranstaltungen gut besucht
2022 fanden insgesamt 77 Veranstaltungen statt, an denen 1.376 Menschen teilnahmen. Hinzu kam das Storchenfest mit geschätzten 4.000 Personen, das nach drei Jahren endlich wieder stattfinden konnte. Mit diesen Zahlen liegt das Zentrum etwas über der Hälfte der „normalen Jahre“. So gab es 2022 noch Einschränkungen bezüglich Corona sowie kurzfristige Absagen von gebuchten Veranstaltungen aufgrund einer Coronaerkrankung. Erschwerend kam die Vogelgrippe im Landkreis Gifhorn hinzu, so dass das Zentrum erst wieder am 21. März für Besucher öffnen konnte.
Ausblick: Sorge vor Vogelgrippe und steigenden Kosten
Große Sorgen macht die Vogelgrippe, die mittlerweile nicht mehr „nur“ in der Vogelzugzeit ein Thema ist, sondern auch in den Sommermonaten grassiert und zu erheblichen Einschränkungen bezüglich der Pflege und Aufnahme von Vögeln als auch zur Schließung des Geländes führen könnte. „Des Weiteren machen uns die Kostensteigerungen auf allen Ebenen (Energie, Wasser, Futter, tierärztliche Versorgung, Medikamente) Sorgen. Infolgedessen werden wir keine neuen Baumaßnahmen anstreben, sondern das Nötigste reparieren und Instanthaltungsmaßnahmen durchführen“, erläutert Uwe-Peter Lestin, 1. Vorsitzender des Förderkreises vom NABU-Artenschutzzentrum. Er bemerkt weiter: „Wir freuen uns jetzt schon auf das kommende Storchenfest, dass am Sonntag, den 23. April 2023 von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr stattfinden wird und zu dem wir alle herzlich einladen.“